ÄNDERUNG DER BAYERISCHEN BAUORDNUNG ZUM 1. FEBRUAR 2021 – REDUZIERUNG DER ABSTANDSFLÄCHEN AUßER-HALB DER GROßSTÄDTE UND EINFÜHRUNG EI-NER GENEHMIGUNGSFIKTION
I. ÜBERBLICK
Am 30. Dezember 2020 wurde das „Gesetz zur Vereinfachung baurechtlicher Regelungen und zur Beschleunigung sowie Förderung des Wohnungsbaus“ bekannt gemacht (GVBl. 2020, Nr. 31, S. 663).
Mit der Änderung der Bayerischen Bauordnung werden neben zahlreichen anderen Neuerungen insbesondere die gesetzlichen Abstandsflächenvorschriften neu geregelt.
Für Bauanträge für Wohnbauvorhaben gibt es zukünftig auch in Bayern eine Genehmigungsfiktion, wenn im vereinfachten Genehmigungsverfahren über einen vollständig eingereichten Bauantrag nicht innerhalb von 3 Monaten entschieden wurde. Die Genehmigungsfiktion für Wohnbauvorhaben gilt erst für ab dem 1. Mai 2021 eingereichte Bauanträge.
Im Übrigen treten die Neuregelungen bereits zum 1. Februar 2021 in Kraft und sind ab diesem Zeitpunkt auch auf laufende Genehmigungsverfahren anwendbar. Bereits ab dem 15. Januar 2021 können Gemeinden auf Grundlage des neu gefassten Art. 81 BayBO abweichende Abstandsflächen durch Satzung festsetzen.
II. ABSTANDSFLÄCHEN
Die zentrale Regelung des Abstandsflächenrechts, Art. 6 BayBO, wird umfassend neu gefasst:
- Zukünftig gilt in Gemeinden mit bis zu 250.000 Einwohnern grundsätzlich eine verkürzte Abstandsfläche von 0,4 H (Art. 6 Abs. 5 BayBO 2021). Als Mindestabstand sind weiterhin 3 m zur Grundstücksgrenze einzuhalten.
- Das sog. 16-m-Privileg, nach dem vor bis zu zwei Außenwänden von nicht mehr als 16 m Länge eine Abstandsfläche von 0,5 H genügt, gilt für diese Fälle nicht mehr.
- Die Höhe der Giebelflächen ist bei der Berechnung nicht mehr zu 1/3, sondern in vollem Umfang der Wandflächen in ihrer realen Form anzusetzen. Dachgauben sind bei der Berechnung der Abstandsflächen stets zu berücksichtigen.
- In Gemeinden mit mehr als 250.000 Einwohnern (derzeit München, Nürnberg und Augsburg) gilt abweichend hiervon weiterhin eine Abstandsfläche von 1 H, mindestens 3 m (Art. 6 Abs. 5a BayBO 2021). Hier sind dafür weiterhin das 16-m-Privileg sowie die bereits bisher geltenden Regelungen für Giebelflächen und untergeordnete Dachgauben anwendbar.
- Städten und Gemeinden wird bereits ab 15. Januar 2021 ermöglicht, ihre Abstandsflächen durch Satzung weitgehend individuell zu regeln.
Maßnahmen zur Energieeinsparung im Bestand bleiben bei der Berechnung der Abstandsflächen bis zu einer Stärke von 0,30 m außer Betracht, wenn ein Mindestabstand von 2,50 m zur Grundstücksgrenze des Nachbarn eingehalten wird (Art. 6 Abs. 6 S. 1 Nr. 4 BayBO 2021).
III. EINFÜHRUNG EINER GENEHMIGUNGSFIKTION FÜR WOHNBAUVORHABEN
Mit Art. 68 Abs. 2 BayBO 2021 wird für Wohnbauvorhaben (Errichtung, Änderung oder Nutzungsänderung zu Wohnzwecken), über die im vereinfachten Verfahren entschieden werden soll, eine Genehmigungsfiktion eingeführt. Die Genehmigungsfiktion tritt ein, wenn die Bauaufsichtsbehörde nicht innerhalb von drei Monaten über den Bauantrag entschieden hat. Die Frist beginnt drei Wochen nach Zugang des vollständigen Bauantrags oder drei Wochen nach Zugang der verlangten Unterlagen, wenn die Bauaufsichtsbehörde vor Fristbeginn eine Aufforderung nach Art. 65 Abs. 2 BayBO (zur Behebung formeller Mängel) versandt hat.
Die Fiktion tritt nicht ein, wenn der Antragsteller vor Ablauf der Entscheidungsfrist gegenüber der Baugenehmigungsbehörde in Textform auf den Eintritt der Genehmigungsfiktion verzichtet.
Über den Eintritt der Genehmigungsfiktion wird eine Bescheinigung ausgestellt, die den Inhalt der Genehmigung wiedergibt und in ihrer Wirkung der Baugenehmigung gleichsteht. Die Genehmigungsfiktion tritt aber nach Art. 42a BayVwVfG auch dann ein, wenn von der Behörde keine Bescheinigung ausgestellt wird. Grundsätzlich tritt die Genehmigungsfiktion auch ein, wenn der Bauantrag formal vollständig, aber das Bauvorhaben rechtswidrig ist. In diesen Fällen kann die fiktive Genehmigung jedoch u.U. nach Art. 48 BayVwVfG zurückgenommen werden. In Einzelfällen ist zudem denkbar, dass die fiktive Genehmigung nichtig ist – wenn bspw. der Bauantrag gravierende Mängel aufweist oder das Bauvorhaben unbestimmt ist (d.h. nicht klar ist, was genehmigt werden soll).
IV. WEITERE NEUREGELUNGEN ZUR ERLEICHTERUNG DER WOHNRAUMSCHAFFUNG
Das Hauptziel des Gesetzes ist die Erleichterung der Schaffung zusätzlichen Wohnraums. Dies soll insbesondere dadurch erreicht werden, dass Maßnahmen wie Aufstockungen oder Nutzungsänderungen zu Wohnzwecken erleichtert werden:
- Die Änderung und Nutzungsänderung von Dachgeschossen zu Wohnzwecken einschließlich der Errichtung von Dachgauben wird genehmigungsfrei.
- Sollen Nutzungseinheiten mit Aufenthaltsräumen in bestandsgeschützten Gebäuden in Wohnraum umgewandelt werden, sind auf bestehende Bauteile die Abstanstandsflächenregelungen sowie bestimmte brandschutzrechtliche Regelungen (Art. 25, 26, 28, 29 und 30 BayBO) nicht anzuwenden (Art. 46 Abs. 5 BayBO 2021).
- Bei Aufstockung kann auf einen Aufzug, der bislang ab einer bestimmten Gebäudehöhe stets erforderlich war, verzichtet werden, wenn dieser nur mit unverhältnismäßigem Aufwand hergestellt werden kann (Art. 37 Abs. 4 S. 5 BayBO 2021).
- Abweichungen von den Abstandsflächen, die von den Behörden nach geltendem Recht nur in besonders gelagerten Fällen erteilt werden, sollen zukünftig zugelassen werden, wenn ein rechtmäßig errichtetes Gebäude durch ein Wohngebäude höchstens gleicher Abmessung und Gestalt ersetzt wird (Art. 63 Abs. 1 S. 2 BayBO 2021).
- Kommunen können mit ihren Stellplatzsatzungen die Anzahl der erforderlichen Stellplätze zukünftig flexibler regeln und hierbei insbesondere die örtliche Verkehrsinfrastruktur berücksichtigen (Art. 81 Abs. 1 Nr. 4 BayBO 2021).
V. SONSTIGE Änderungen der BayBO
- Das Bauen mit Holz ist nach der Novelle in allen Gebäudeklassen möglich. Hierzu soll mit der Novelle der BayBO eine neue Holzbaurichtlinie veröffentlicht werden.
- Änderungen bzgl. der Herstellungspflicht von Kinderspielplätzen in Wohnanlagen, insbes. Ablösemöglichkeit (Art. 7 Abs. 3 BayBO 2021).
- Planung von Rettungswegen (Änderung des Art. 31 BayBO).
VI. ZUSAMMENFASSUNG UND AUSBLICK
Die neuen Abstandsflächenregelungen ermöglichen außerhalb der Großstädte München, Nürnberg und Augsburg eine dichtere Bebauung ihrer Grundstücke.
Die Einführung einer Genehmigungsfiktion und genehmigungsfreier Dachgeschossausbauten ermöglichen eine schnellere oder unbürokratische Durchführung von Wohnbauvorhaben. Zudem erleichtern die Neuregelungen Nutzungsänderungen, Sanierungen, Ausbauten und Aufstockungen, die bislang beispielsweise wegen den Anforderungen des Abstandsflächenrechts oder bautechnischer Vorgaben nicht möglich oder unwirtschaftlich waren. Andererseits werden Bauherren insbesondere von den Neuregelungen über die Genehmigungsfiktion und die Genehmigungsfreistellung nur profitieren
können, wenn diese sorgfältig vorbereitet werden, da die Baubehörden voraussichtlich in großem Umfang Bauanträge wegen formeller oder inhaltlicher Mängel zurückweisen werden, um den Eintritt der Genehmigungsfiktion zu verhindern. Diese Entwicklung hat sich in den letzten Monaten schon abgezeichnet.
Die Genehmigungsfreistellung kann zudem für Bauherren auch mit einem erhöhten Risiko verbunden sein, da diese nicht die mit einer Baugenehmigung vergleichbare Rechtssicherheit bietet. Insbesondere ist das Risiko der Aufhebung des fiktiven Bescheids erheblich höher als das Risiko der Aufhebung einer Baugenehmigung, da bei letzterer das Bauvorhaben auch durch die Behörde geprüft und (mit den erforderlichen Nebenbestimmungen) bestätigt wurde. Investoren und Finanzierer sollten sich daher nicht allein auf die Bestandskraft der Fiktionsbescheinigung stützen, sondern die Einhaltung des Bauordnungs- und Bauplanungsrechts vorsorglich selbst prüfen.
Bauanträge, die bereits eingereicht worden sind oder noch eingereicht werden, werden voraussichtlich bereits nach neuem Recht beschieden werden, da grundsätzlich die Rechtslage zum Zeitpunkt der behördlichen Entscheidung über den eingereichten Antrag maßgeblich ist. Wenn über einen nun einzureichenden oder bereits eingereichten Vorbescheids- oder Bauantrag nach dem 1. Februar 2021 entschieden wird, ist der Antrag daher nach der neuen BayBO zu beurteilen.
Abweichend davon gilt die Genehmigungsfiktion für Wohnbauvorhaben erst für ab dem 1. Mai 2021 eingereichte Bauanträge.
STAND DES GESETZGEBUNGSVERFAHRENS ZUR ÄNDERUNG DES BauGB UND DER BauNVO
Über den Stand des Gesetzgebungsverfahrens zur geplanten Neuregelung des Baugesetzbuches (BauGB) und der Baunutzungsverordnung (BauNVO) hatten wir Sie zuletzt im Juni 2020 mit unserem
Newsletter „ENTWURF des Baulandmobilisierungsgesetz 2020 – Umwandlungsverbot und andere Neuerungen“ informiert.
Der Gesetzesentwurf wurde seitdem angepasst und am 4. November 2020 vom Bundeskabinett beschlossen (die Kabinettfassung vom 30.11.2020 ist unter dem Az. BT-Drs. 19/24838 im Internet u.a. auf der Webseite des Bundestags abrufbar).
Als Gesetzentwurf der Bundesregierung wurde der Entwurf des Baulandmobilisierungsgesetzes am 6. November 2020 dem Bundesrat und am 30. November 2020 dem Bundestag zugeleitet.
Der Bundesrat hat hierzu am 18. Dezember 2020 Stellung genommen und auf einen raschen Abschluss des Gesetzgebungsverfahrens gedrängt (BR-Drs. 686/20). Zudem hat der Bundesrat zahlreiche Einzeländerungen vorgeschlagen, insbesondere solle das Gesetz praxistauglicher werden.
Die Stellungnahme des Bundesrates vom 18. Dezember 2020 wurde der Bundesregierung zugeleitet, die hierzu aktuell eine Gegenäußerung verfasst und anschließend dem Bundestag zur Entscheidung vorlegen wird.
Spätestens drei Wochen nach Verabschiedung des Gesetzes durch den Bundestag wird sich der Bundesrat abschließend mit dem Gesetz befassen.
Über das Inkrafttreten der Änderungen des BauGB und der BauNVO werden wir Sie informieren.
Wir unterstützen Sie gerne bei der Umsetzung Ihres Vorhabens unter Berücksichtigung der neuen Rechtslage.
Ihr Team Immobilien- und Baurecht
Verfasser: Wiebke Hederich, LL.M. (Otago) und
Dr. Felix Burgkardt