BAG: Wirksamkeit von Ausschlussfristen in Altverträgen
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat sich in seinem Urteil vom 24.09.2019 mit den Anforderungen an die Wirksamkeit von Ausschlussfristenregelungen in sog. Altverträgen auseinandergesetzt, die vor dem Inkrafttreten des Schuldrechtsmodernisierungsgesetzes am01.01.2002 geschlossen wurden.
Die Parteien stritten über die Zahlung von Weihnachts- und Urlaubsgeld. Der Arbeitgeber lehnte die Zahlung ab und berief sich dabei auf die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist. Die streitgegenständliche Klausel war wie folgt gefasst: „Die Parteien vereinbaren, dass alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis binnen drei Monaten nach Fälligkeit verfallen. Der Verfall tritt nicht ein, wenn solche Ansprüche innerhalb dieses Zeitraumes schriftlich gegenüber der anderen Vertragspartei geltend gemacht werden.“
Nach Ansicht des BAG sei die arbeitsvertragliche Ausschlussfrist wirksam. Zwar verbiete es § 202 Abs. 1 BGB in der seit dem 01.01.2002 geltenden Fassung, die Haftung aus vorsätzlich begangener Vertragspflichtverletzung
oder unerlaubter Handlung durch vertragliche Ausschlussfristen auszuschließen; dies gelte auch für Ausschlussfristen in Arbeitsverträgen, die vor dem 01.01.2002 vereinbart wurden. Eine Ausschlussfristenregelung, die sich ohne Einschränkung auf „alle beiderseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis“ bezieht, sei jedoch ausnahmsweise im Wege der ergänzenden Vertragsauslegung dahingehend auszulegen, dass ihr Anwendungsbereich Haftungsansprüche im Sinne von § 202 Abs. 1 BGB und § 309 Nr. 7 BGB (Unzulässigkeit des Ausschlusses oder einer Begrenzung der Haftung für Schäden aus der fahrlässigen oder vorsätzlichen Verletzung des Lebens, des Körpers oder der Gesundheit sowie der Haftung für sonstige Schäden, die auf grob fahrlässiger oder vorsätzlicher Pflichtverletzung beruhen) nicht erfasst. Dies deshalb, weil diese gesetzlichen Regelungen bei Abschluss des Arbeitsvertrags noch nicht existierten und daher beim Entwurf der Ausschlussfristenregelung nicht berücksichtigt werden konnten. Es sei jedoch anzunehmen, dass die Parteien die Klausel grundsätzlich gesetzeskonform vereinbaren wollten. Ebenso führe der am 16.08.2014 in Kraft getretene § 3 S. 1 MiLoG, wonach der Anspruch auf den gesetzlichen Mindestlohn nicht ausgeschlossen werden darf, nicht zu einer Gesamtunwirksamkeit der Ausschlussfristenklausel.
PRAXIS HINWEIS:
Die Praxisrelevanz des Urteils des BAG beschränkt sich im Wesentlichen auf Altverträge, die vor dem 01.01.2002 geschlossen wurden. Sämtliche Arbeitsverträge, die nach diesem Zeitpunkt geschlossen wurden, müssen sich zwingend an den Regelungen der § 202 Abs.1 und § 309 Nr. 7 BGB orientieren, um rechtswirksam zu sein. Erfreulich ist, dass das BAG klargestellt hat, dass ein Verstoß gegen § 3 S. 1 MiLoG bei Arbeitsverträgen, die vor dem 16.08.2014 geschlossen wurden, lediglich zu einer Teilunwirksamkeit der Ausschlussfristenregelung hinsichtlich des Anspruchs auf den gesetzlichen Mindestlohn führt. Im Übrigen bleibt sie wirksam. Zu beachten ist allerdings, dass eine Vertragsänderung, die nach den maßgeblichen Stichtagen erfolgt, unter Umständen dazu führen kann, dass insgesamt kein „Altvertrag“ sondern ein „Neuvertrag“ vorliegt, der sich an den zu den zum Zeitpunkt seines Abschlusses jeweils geltenden gesetzlichen Regelungen messen lassen muss.
BAG: Anspruch des Betriebsrats nach dem Entgelttransparenzgesetz im Hinblick auf Bruttoentgeltlisten
Das Entgelttransparenzgesetz (Entg-TranspG) verpflichtet den Arbeitgeber zur Einbindung des Betriebsrats in das individuelle Verfahren zur Überprüfung von Entgeltgleichheit. Maßgebliche
Pflicht ist die Beantwortung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten. Das Gesetz gesteht einem vom Betriebsrat gebildeten Betriebsausschuss dazu grundsätzlich zu, Bruttoentgeltlisten des Arbeitgebers einzusehen und auszuwerten. Wenn der Arbeitgeber die Erfüllung der Auskunftsverpflichtung berechtigterweise an sich gezogen hat, besteht für den Betriebsrat jedoch weder ein Einsichts- noch ein Auswertungsrecht.
Die Arbeitgeberin macht von der im Entgelttransparenzgesetz vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch, die Verpflichtung zur Erfüllung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten generell zu übernehmen. Über Auskunftsverlangen der Arbeitnehmer informierte sie den Betriebsrat und gewährte ihm Einsicht in die hierzu aufbereiteten Bruttoentgelt-listen. Diese waren nach Geschlecht aufgeschlüsselt und wiesen sämtliche Entgeltbestandteile auf. Der Betriebsrat verlangte unter Hinweis auf § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG darüber hinaus, die Listen in bestimmten elektronischen Dateiformaten zur Auswertung zu erhalten.
Mit Beschluss vom 28.07.2020 (1 ABR 6/19) hat das BAG entschieden, dass das Einsichts- und Auswertungsrecht gemäß § 13 Abs. 2 S. 1 EntgTranspG für den Betriebsrat nur dann besteht, wenn der Arbeitgeber die individuellen Auskunftsverlangen der Beschäftigten nicht selbst beantwortet. Hat der Arbeitgeber diese gesetzliche Pflicht jedoch an sich gezogen, hat der Betriebsrat keinerlei Ansprüche auf Einsicht oder Auswertung der Bruttoentgeltlisten.
PRAXISHINWEIS:
Das Entgelttransparenzgesetz sieht grundsätzlich zwei Wege der Beantwortung von Auskunftsverlangen der Beschäftigten, einerseits durch den Betriebsrat, andererseits durch den Arbeitgeber, vor. Hat sich der Arbeitgeber dazu entschieden, die Beantwortung individueller Anfragen an sich zu ziehen, reduziert sich die Beteiligung des Betriebsrats auf ein Informationsrecht.
LAG Schleswig-Holstein: Keine Honorar-Rückzahlungsansprüche des Arbeitgebers gegenüber vermeintlich freien Mitarbeitern nach Statusfeststellung
Der Arbeitgeber kann grundsätzlich keine Rückzahlung der gezahlten Honorare für einen freien Mitarbeiter verlangen, wenn sich das Rechtsverhältnis im Nachhinein als Arbeitsverhältnis erweist. Diesem Begehren steht regelmäßig der Vertrauensschutz des Arbeitnehmers entgegen.
Der Beklagte war im Kalenderjahr 2015 für insgesamt sechs Monate als examinierte Pflegekraft für die Klägerin, die ein Pflege- und Therapiezentrum betreibt, tätig. Der Tätigkeit lag ein Dienstvertrag zugrunde. Zur Leistung der erforderlichen Tätigkeiten wurde der Beklagte nach Absprache in die Dienstpläne der Klägerin eingeteilt; ihm war das Recht eingeräumt, Schichten abzulehnen. Bei Verrichtung seiner Tätigkeiten trug er eigene, von der Dienstkleidung der angestellten Arbeitnehmer farblich abweichende Bekleidung und rechnete seine Einsätze monatlich anhand der geleisteten Stunden mittels Honorarrechnungen zu Stundensätzen zwischen EUR 30,00 EUR 34,00 ab.
Im Jahr 2016 erfolgte eine Betriebsren-tenprüfung durch die Deutschen Rentenversicherung (DRV). Diese stufte das Rechtsverhältnis zwischen Parteien als abhängige Beschäftigung ein und forderte von der Klägerin nachträglich Sozialversicherungsbeiträge in erheblichem Umfang. Weder wurde der Beklagte an diesem Verfahren beteiligt, noch wurden seinem Rentenkonto Betragszahlungen gutgeschrieben.
Die Klägerin verlangte von dem Beklagten die Rückzahlung gezahlter Honorare in Höhe von ca. EUR 10.000. Sie begründete ihren Anspruch damit, dass der Beklagte aufgrund Eingliederung in di Arbeitsabläufe der Klägerin tatsächlich Arbeitnehmer gewesen sei, in diesem Fall jedoch nach Maßgabe des TVöD nur EUR 16,32 brutto pro Stunde hätte verdienen können.
Das Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein wies den Rückzahlungsanspruch mit Urteil vom 16.01.2020 (5 Sa 118/19) aus Vertrauensgesichtspunkten ab. Die Parteien sind bei Vertragsschluss von einer Tätigkeit im Dienstverhältnis ausgegangen und haben das Vertragsverhältnis insbesondere in Bezug auf die Arbeitsschutzpflichten der Klägerin entsprechend gelebt. Die Klägerin hat vor allem keine Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall geleistet und keinen bezahlten Urlaubs gewährt. Die nachträgliche Anpassung der Vergütung an den für ein Arbeitsverhältnis anwendbaren TVöD sei rechtsmissbräuchlich. Eine Festanstellung des Beklagten hat dieser weder verlangt, noch wurde ihm eine solche von der Klägerin angeboten. Gegen Arbeitsausfall habe sich der Beklagte eigenständig versichert.
PRAXISHINWEIS:
Der Einsatz von Fremdpersonal birgt regelmäßig erhebliche Gefahren und Risiken. Dies gilt insbesondere dann, wenn der zur Dienstleistung Verpflichtete in die Arbeitsabläufe eingegliedert wird. Fehleinschätzungen sanktioniert die Deutsche Rentenversicherung regelmäßig mit erheblichen Nachforderungen von Sozialversicherungsbeiträgen, sodass sich der Einsatz von Fremdpersonal schon wirtschaftlich häufig nicht mehr rechnet. Dem Staat obliegt zudem die Verfolgung einer Strafbarkeit nach § 266a StGB wegen vorenthaltender Arbeitsentgelte und Sozialabgaben. Eine gründliche vorherige Prüfung des Fremdpersonaleinsatzes ist daher dringend erforderlich.
ArbG Mainz: Pflicht zur Erteilung von Präsenzunterricht
Das Arbeitsgericht Mainz hat mit Beschluss vom 08.06.2020 (4 Ga 10/20) den Antrag eines 62-jährigen Lehrers auf Erlass einer Einstweiligen Verfügung zum Verbot der Heranziehung zur Erteilung von Präsenzunterricht abgelehnt. Der Antragsteller berief sich bei seinem Antrag gegen seinen Arbeitgeber, einer Berufsschule mit Förderunterricht, auf sein Alter (Geburtsjahrgang 1957). Er meint, mit der Heranziehung zu Präsenzunterricht während der Corona-Pandemie sei er unzumutbareren gesundheitlichen Risiken ausgesetzt, obwohl ein Interesse an der Erteilung von Präsenzunterricht nicht gegeben sei.
Das Arbeitsgericht bekräftigte den Ermessensspielraum der Schulen in Bezug auf die Abwendung von Gefahren während der Corona-Pandemie. Insofern entziehe sich das Begehr des Antragstellers im Einstweiligen Verfügungsverfahren der Entscheidung der Gerichte. Die Schule ist für den Einsatz ihrer Lehrkräfte verantwortlich, eine vorgreifende Entscheidung, welcher Lehrer wie eingesetzt werden könne, könne das Gericht daher nicht treffen.
Zudem könne ein hinreichender Abstand im Rahmen des Präsenzunterrichts gerade deshalb gewährt werden, da der Antragsteller Einzelunterricht in einem 25qm großen Raum erteilen soll. Auch die Auffassung des Antragstellers, nach der kein Interesse an der Erteilung von Präsenzunterricht bestehe, überzeugte das Gericht nicht. Aufgabe des Antragstellers war es, benachteiligten Schülern Förderunterricht zu erteilen, denen ein Zugang zu Onlineunterricht oder zu sonstiger Unterstützung gerade nicht problemlos möglich war.
Änderungen im Arbeitnehmer-Entsendegesetz
Zum 30. Juli 2020 trat eine umfangreiche Novelle des Arbeitnehmer-Entsendegesetzes (AEntG) in Kraft.
Die Regelungen des AEntG gelten nunmehr auch für nach Deutschland entsandte Leiharbeitnehmer. Ausgenommen sind Besuche von Messen, Konferenzen, Besprechungen und Weiterbildungen bis zu einer Dauer von zwei Wochen. Ferner gelten die neuen Regelungen im ersten Jahr nicht für bis zu achttägige Erstmontage- und Einbauarbeiten.
Die Liste der Mindestarbeitsbedingungen wurde unter anderem um Anforderungen an Werkswohnungen, Zuschüsse zu Reise- und Unterbringungskosten, Überstunden- und sonstige Zulagen sowie Sachleistungen ergänzt. Zudem gilt nunmehr in allen Branchen mitallgemeinverbindlichen Tarifverträgen
ein Anspruch auf Tariflohn. Die Erstattung von Reise-, Unterbringungs- und Verpflegungsmehraufwand darf nicht auf den Lohn angerechnet werden. Bei längerfristiger Entsendung müssen grundsätzlich nach zwölf Monaten – spätestens nach 18 Monaten – sämtliche in Deutschland geltenden Arbeitsbedingungen eingehalten werden.
Stufenweise Erhöhung des gesetzlichen Mindestlohns
Die Mindestlohnkommission hat eine Erhöhung des Mindestlohns in vier Stufen beschlossen. Die gesetzliche Brutto-Lohnuntergrenze soll pro Stunde von bisher EUR 9,35 zum 01.01.2021 auf EUR 9,50, zum 01.07.2021 auf EUR 9,60, zum 01.01.2022 auf EUR 9,82 und zum 01.07.2022 auf EUR 10,45 ansteigen.
Dies entspricht einer sehr unregelmäßigen Steigerung zwischen 0,11 % und 6,1 %.
Die ausgehandelten Mindestlohnsteigerungen orientieren sich an den durchschnittlichen Tariflohnerhöhungen der vergangenen zwei Jahre und Wirtschaftsprognosen sowie an der Beschäftigungs- und Wettbewerbssituation.
Gesetz zur Verbesserung des Vollzugs im Arbeitsschutz (Arbeitsschutzkontrollgesetz)
Das Bundeskabinett hat in seiner Sitzung vom 29.07.2020 den Entwurf des Arbeitsschutzkontrollgesetzes auf den Weg gebracht. Das Gesetz soll geordnete und sichere Arbeitsbedingungen in der Fleischindustrie herstellen. Darüber hinaus legt es bundesweit einheitliche Regeln zur Kontrolle der Betriebe und zur Unterbringung der Beschäftigten auch in anderen Branchen fest.
Der Gesetzesentwurf umfasst folgende, wesentliche Regelungen:
- Verbot des Fremdpersonaleinsatzes im Kerngeschäft der Fleischindustrie (für Werkverträge ab 01.01.2021, für Leiharbeit ab 01.04.2021). Das Verbot gilt nicht für Unternehmen des Fleischerhandwerks mit bis zu 49 regelmäßig tätigen Personen.
- Einführung bundeseinheitlich verbindlicher Kontrollquoten (ab 2026: mindestens 5 % der im Bundesland vorhandenen Betriebe) nebst Durchführung von Schwerpunktkontrollen in Risikobranchen.
- Für die Unterbringung der Beschäftigten gelten Mindeststandards, etwa hinsichtlich der Ausstattung der Unterkunft. Über die Unterbringung der Arbeitskräfte in Gemeinschaftsunterkünften hat der Arbeitgeber eine Dokumentation zu erstellen und diese über vier Wochen nach Beendigung der Unterbringung aufzubewahren.
- Verpflichtung der Arbeitgeber, die zuständigen Behörden über Wohn-und Einsatzort aller Arbeitskräfte zu informieren.
- Pflicht zur digitalen Arbeitszeiterfassung und elektronischen Aufbewahrung in der Fleischindustrie.
- Verdopplung des Bußgeldrahmens von 15.000 Euro auf 30.000 Euro für Verstöße, etwa gegen verbotenen Fremdpersonaleinsatz.