Das Coronavirus infiziert die Baubranche
I. EINFÜHRUNG
Die weltweite Ausbreitung des Coronavirus SARS-CoV-2 wurde am 11.03.2020 von der WHO offiziell zu einer Pandemie erklärt. Der Kampf gegen die Ausweitung des Virus und die Gesundheit der Betroffenen stehen derzeit im Vordergrund. Immerhin sieht das Robert Koch-Institut die Gefährdung der Gesundheit für die Bevölkerung in Deutschland weiterhin insgesamt als mäßig an.
Gleichzeitig werden die wirtschaftlichen Auswirkungen – insbesondere auch in der Baubranche – immer konkreter, sei es in Form von gestörten Bauabläufen (beispielsweise aufgrund von Mitarbeiterausfällen oder unterbrochenen Lieferketten), steigenden Materialpreisen oder Liquiditätsengpässen. Die Bundesregierung versucht nun mit Finanzspritzen gegenzusteuern. Ob dies umfassend gelingen wird, darf bezweifelt werden. Umso wichtiger wird es in nächster Zeit sein, die konkreten Auswirkungen auf die jeweils eigenen Projekte in den Griff zu bekommen und zugleich zukunfstfähige Lösungen zu erarbeiten.
Der nachfolgende Beitrag gibt einen Überblick über die wesentlichen rechtlichen Fragestellungen:
II. PANDEMIE ALS HÖHERE GEWALT
Bei einer Pandemie handelt es sich um einen Fall der höheren Gewalt. Darunter versteht man ein von außen kommendes, nicht vorhersehbares und auch durch äußerste, vernünftigerweise zu erwartende, Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis, das von keinem der Beteiligten verschuldet ist. Vor diesem Hintergrund spielt die jeweilige gesetzliche oder vertragliche Risikoverteilung eine zentrale Rolle.
III. UNMÖGLICHKEIT UND STÖRUNG DER GESCHÄFTSGRUNDLAGE
Aufgrund der Pandemie und ihrer Auswirkungen (Quarantäne, Schließung von Grenzen, etc.) ist es denkbar, dass einzelne Vertragsleistungen zumindest vorübergehend unmöglich werden. Grundsätzlich entfällt in diesem Fall die Leistungspflicht des Schuldners. Der Gläubiger muss im Gegenzug dafür auch seine Leistung nicht erbringen.
Schadens- und Aufwendungsersatzansprüche kommen grundsätzlich nur in Betracht, wenn die Unmöglichkeit von einer Partei zu vertreten ist. Dies ist, wie zuvor dargelegt, gerade nicht der Fall, wenn die Unmöglichkeit der Leistung auf die Corona-Pandemie und somit höhere Gewalt zurückzuführen ist. Ob die Leistung tatsächlich unmöglich oder nur erschwert ist, oder ob tatsächlich andere Gründe hierfür ursächlich sind (und die Pandemie nur „vorgeschoben“ wird), muss für jeden Einzelfall konkret festgestellt werden.
Sofern eine Leistung zwar nicht unmöglich geworden ist, sich die (wirtschaftlichen) Rahmenbedingungen jedoch so nachteilig verändert haben, dass die Leistungserfüllung unzumutbar ist, kann eine Anpassung des Vertrages nach den Grundsätzen der Störung der Geschäftsgrundlage denkbar sein. Wann die Voraussetzungen hierfür vorliegen, hängt ebenfalls von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab und kann nicht pauschal beantwortet werden.
IV. TYPISCHE PROBLEMFELDER
Im Folgenden gehen wir auf einige typische Problemfelder ein:
1. ERKRANKUNG VON MITARBEITERN
Grundsätzlich fällt die Erkrankung einzelner Mitarbeiter in den Risikobereich des Auftragnehmers. Dieser muss gegebenenfalls den Ausfall einzelner Mitarbeiter durch eine Anordnung von Mehrarbeit der übrigen Mitarbeiter kompensieren.
Die Erkrankung mehrerer Mitarbeiter kann im Einzelfall einen Fall der höheren Gewalt darstellen, wenn der Betrieb als solches dadurch in erheblicher Weise beeinträchtigt ist. Allerdings muss hier wohl der gesamte Betrieb des Auftragnehmers betrachtet werden und nicht nur das einzelne Bauprojekt. Dies ist sicherlich anzunehmen, wenn alle Mitarbeiter eines Betriebs pandemiebedingt unter Quarantäne gestellt werden.
Unabhängig von den vorgenannten Punkten zu beurteilen ist, ob im konkreten Einzelfall über die reinen vertraglichen Hauptpflichten hinaus bestimmte Nebenpflichten bestehen. In Betracht kommen insoweit insbesondere Auskunfts- und Informationspflichten über eine mögliche Infizierung von am Vertrag Beteiligten und deren Beschäftigten sowie erforderliche Maßnahmen aufgrund von Schutz- und Fürsorgepflichten für die auf der Baustelle Tätigen (z.B. Anordnung von Schutzmaßnahmen, wie das Tragen von Schutzbekleidung, Einhalten von Hygienestandards und Mindestabstände). Insoweit ist aufgrund der jeweiligen vertraglichen Regelung und im konkreten Einzelfall zu beurteilen, wer für die entsprechenden Maßnahmen verantwortlich ist (Auftraggeber, Auftragnehmer und/oder SiGe-Ko gemäß § 3 BaustellenV), und welche Partei die hierdurch ggf. entstehenden Mehrkosten zu tragen hat
2. LIEFERENGPÄSSE
Nicht zuletzt aufgrund der Grenzschließungen und drohenden Produktionsausfälle wird es zunehmend zu Lieferengpässen hinsichtlich des Materials kommen.
Grundsätzlich ist der Auftragnehmer für die Beschaffung des Materials verantwortlich. Kommt der Auftragnehmer dieser Pflicht schuldhaft nicht nach, macht er sich für die verzögerungsbedingt entstandenen Kosten ersatzpflichtig. Ein Verschulden läge aber aufgrund von höherer Gewalt nicht vor, wenn die Beschaffung des Materials auf die Corona-Pandemie zurückzuführen wäre. Eine Schadensersatzpflicht scheidet aus.
Sofern der Auftraggeber das Material zur Verfügung stellen und der Auftragnehmer dieses lediglich einbauen sollte, sind etwaige Lieferengpässe dem Risikobereich des Auftraggebers zuzuordnen. Sollte der Auftragnehmer in diesem Fall aufgrund fehlenden Materials an der Ausführung insgesamt gehindert sein, kommen Entschädigungsansprüche in Betracht.
Wer aufgrund von Lieferengpässen nicht leisten kann, muss insbesondere prüfen, ob er verpflichtet ist, seinen Vertragspartner möglichst umfassend über Art und Ausmaß der Verzögerung zu informieren und die Auswirkungen auf die Bauzeit darzulegen. Im Zweifel sollten alle Lieferengpässe möglichst genau dokumentiert werden.
3. GESTEIGERTE MATERIALKOSTEN
Selbst exorbitante Preissteigerungen, die in Folge der Lieferengpässe durchaus möglich sind, fallen grundsätzlich in den Risikobereich des Auftragnehmers und führen nicht ohne Weiteres zu einer Vertragsanpassung wegen Störung der Geschäftsgrundlage. Insoweit muss jeder Einzelfall für sich bewertet werden.
4. LIQUIDITÄTSENGPÄSSE DES AUFTRAGGEBERS
Das Liquiditätsrisiko trägt hingegen grundsätzlich der Auftraggeber. Selbst wenn etwaige Liquiditätsengpässe des Auftraggebers im Zusammenhang mit dem Coronavirus stehen sollten, berechtigt ihn dies in der Regel nicht – jedenfalls nicht zu einer für ihn finanziell neutralen – Anordnung eines Baustopps oder einer außerordentlichen Kündigung. Eine freie Kündigung bleibt möglich, ist jedoch mit erheblichen finanziellen Nachteilen verbunden.
5. BEHINDERUNG UND UNTERBRECHUNG DER AUSFÜHRUNG
Sofern sich der Auftragnehmer in der ordnungsgemäßen Ausführung der Leistungen behindert sieht – sei es beispielsweise dadurch, dass die Baustelle aufgrund behördlicher Anordnung nicht betreten werden kann, oder dadurch, dass erforderliche Leistungen anderer am Bau Beteiligter noch nicht erbracht wurden – und er dies dem Auftraggeber unverzüglich schriftlich anzeigt, kann dies zu Mehrkosten- und Entschädigungsansprüchen des Auftragnehmers führen. Resultiert die Behinderung aus der Sphäre des Auftraggebers (z.B. Planergesellschaft oder Vorunternehmer stehen unter Qurantäne) könnte dies dazu führen, dass der Auftragnehmer einen Entschädigungsanspruch geltend machen kann, der Auftraggeber hingegen (z.B. mangels Verschuldens) keinen Regressanspruch hat.
Im Falle höherer Gewalt dürften sich zudem regelmäßig die Ausführungsfristen verlängern. In der VOB/B ist dies sogar ausdrücklich geregelt.
6. KÜNDIGUNG
Eine (außerordentliche) Kündigung des Bauvertrags kommt nur dann in Betracht, wenn der kündigenden Partei im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die Fortsetzung des Vertrages bis zur Fertigstellung des Werks nicht zugemutet werden kann.
Ob die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung vorliegen, sollte sorgfältig im Einzelfall geprüft werden. Ansosnsten bestünde im Falle einer unberechtigten Kündigung durch den Auftraggeber die Gefahr, dass dem Auftragnehmer die volle Vergütung – abzüglich ersparter Aufwendungen – zustünde. Im Falle einer unberechtigten Kündigung durch den Auftragnehmer bestünde die Gefahr, dass der Auftraggeber seinerseits die Kündigung aus wichtigem Grund aussprechen könnte und die ihm hierdurch entehenden Schäden vom Auftragnehmer verlangt.
Bei einer Unterbrechung der Bauausführung von mehr als drei Monaten können beide Parteien den Vertrag gemäß § 6 Abs. 7 VOB/B kündigen. § 6 Abs. 6 VOB/B sieht in einem solchen Fall den Ersatz eines nachweislich entstandenen Schadens sowie entgangenen Gewinns nur bei Vorsatz oder grober Fahrlässigkeit vor. Dies dürfte in pandemiebedingten Fällen regelmäßig auszuschließen sein, ist allerdings wiederum anhand der konkreten Umstände des Einzelfalls zu prüfen.
V. HANDLUNGSEMPFEHLUNG FÜR DEN ABSCHLUSS NEUER VERTRÄGE
Beim Abschluss neuer Verträge sollte zukünftig unbedingt geregelt werden, wie mit einem Fall höherer Gewalt und anderer außergewöhnlicher Ereignisse allgemein umgegangen werden soll (sog. „Force-Majeure-Klauseln“).
Wer in der aktuellen Lage einen Bauvertrag oder Nachtrag zu einem solchen schließen möchte, sollte unbedingt konkrete Regelungen aufnehmen, wie die Parteien mit den Auswirkungen der Corona-Pandemie umgehen wollen. Hiervon umfasst sind insbesondere die Risikoverteilung sowie die Regelung der oben genannte Punkte. Grund dafür ist, dass im Gegensatz zu Altverträgen die derzeit ersichtlichen Auswirkungen des Coronavirus dann kein unvorhergesehenes Ereignis mehr sind.
VI. VERSICHERUNGSSCHUTZ
Wer finanzielle Nachteile befürchten muss, sollte zum einen prüfen, ob bereits abgeschlossene Versicherungen diese Situation abdecken. Insbesondere sollte insoweit geprüft werden, ob der Versicherungsschutz auch entgangenen Gewinn erfasst. Ist dies nicht der Fall, sollte der Abschluss einer weitergehenden Versicherung (zumindest für die Zukunft) angedacht werden.
Zum anderen sollte jedoch auch geprüft werden, ob – und wenn ja, welche – Informationspflichten gegenüber der Versicherung bestehen. Insbesondere z.B. auch Fristen für die Anzeige etwaiger Schäden oder Versicherungsfälle.
Hinsichtlich der vorgenannten Punkte ist die jeweilige Versicherungspolice zu prüfen.
VII. STAATLICHE UNTERSTÜTZUNG
Zur Abmilderung der wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie wurden auch von staatlicher Seite bereits Hilfen in Aussicht gestellt. Dabei handelt es sich vor allem um folgende Möglichkeiten:
– Erleichterung der Voraussetzungen für den Erhalt des Kurzarbeitergeldes durch eine Reduzierung des Drittelerfordernisses auf ein Zehntelerfordernis, vollständige oder teilweise Erstattung der Sozialversicherungsbeiträge, Verzicht auf den Aufbau von negativen Arbeitszeitkonten und Kurzarbeitergeld für Beschäftigte der Zeitarbeit
– Steuerliche Liquiditätshilfen für Unternehmen, beispielsweise durch Stundung von Steuerzahlungen und Senkung von Vorauszahlungen
– Milliarden-Schutzschild für Betriebe und Unternehmen, beispielsweise KfW-Unternehmer und ERP-Gründerkredite, Gewährung von Landesförderinstrumenten https://www.foerderdatenbank.de/FDB/DE/Home/home.html; https://finanzierungsportal.ermoeglicher.de
VIII. FAZIT
Aufgrund der Tatsache, dass sich die Ausbreitung des Coronavirus an zahlreichen Stellen des Bauablaufs und in der Wirtschaftswelt auswirken kann, sollten sich die Baubeteiligten möglichst frühzeitig informieren, welche Pflichten und Obliegenheiten zur Vermeidung von Nachteilen erfüllt werden müssen, und wie Ansprüche am besten gesichert werden können.
Gerne beraten wir Sie zu sämtlichen Fragen rund um die Auswirkungen des Coronavirus auf die Bau- und Immobilienbranche sowie zu strategischen Fragen für Ihr konkretes Projekt.