Landgericht Berlin macht Bauverfügung zum stumpfen Schwert!
Mit dem zum 01.01.2018 geänderten Bauvertragsrecht wurde für Auftraggeber und Auftragnehmer die Möglichkeit geschaffen, durch Beantragung einer einstweiligen Verfügung streitige Fragen zur Berechtigung einer den Werkerfolg ändernden Anordnung (§ 650b BGB) sowie zur Vergütungsanpassung (§ 650c BGB) einer vorläufigen gerichtlichen Klärung zuzuführen. Ausgangspunkt hierbei ist § 650d BGB, auf dessen Grundlage für Anträge dieser Art widerleglich vermutet wird, dass das Eilbedürfnis, der sog. Verfügungsgrund, besteht.
Ausweislich des Wortlauts des § 650d BGB gilt die Vermutung einzig und allein für Anordnungen i.S.d. § 650b BGB und Vergütungsanpassungen i.S.d. des § 650c BGB. Doch was gilt, wenn die Vertragsparteien die VOB/B zum Vertragsbestandteil gemacht haben, oder der Bauvertrag ein individualvertragliches Anordnungssystem vorsieht? Beiden Fällen ist gemein, dass die Grundlage der Anordnung bzw. der Vergütungsanpassung dann nicht das BGB ist.
Das Landgericht Berlin (19. und 32. Kammer) hat sich hierzu klar positioniert: Gestützt auf den Wortlaut des § 650d BGB hält es die Vermutung einzig und allein in den Fällen des §§ 650b und c BGB für anwendbar. Ist die VOB/B und/oder ein eigenständiges Anordnungs-/ und Vergütungsanpassungssystem vereinbart, kann die Vermutungsregel keine Anwendung finden. Diese Auffassung erscheint konsequent, da es dem Gesetzgeber freigestanden hätte, den Anwendungsbereich zu erweitern.
Die Auffassung des Landgerichts Berlin ist noch in einer weiteren Hinsicht bemerkenswert. Nach Ansicht der 32. Kammer müsse auch für den Fall, dass § 650d BGB tatbestandlich einschlägig ist, dennoch Eilbedürftigkeit vorliegen. Die Regelung des § 650d BGB entbinde den Antragsteller insoweit nur von der prozessualen Pflicht der Glaubhaftmachung. Ergäbe sich aber aus dem Vortrag eines Antragstellers, dass dieser tatsächlich keine Liquiditätsengpässe und/oder Existenzbedrohung zu befürchten habe, hätte er sich selbst widerlegt mit der Folge, dass der Antrag abzuweisen wäre.
Es ist zweifelhaft, ob der Praxis mit Schaffung des § 650d BGB geholfen ist. Erklärtes Ziel des Gesetzgebers war es, Baustillstände im Allgemeinen und Liquiditätsengpässe auf Seiten der Auftragnehmer zu vermeiden. Diese Risiken realisieren sich vor allem im Rahmen von Großbauvorhaben. Für Großbauvorhaben wird aber regelmäßig die VOB/B vereinbart, was – nach Auffassung des Landgerichts Berlin – grundsätzlich die Unanwendbarkeit des § 650d BGB zur Folge hätte. Begrüßenswert wäre daher eine allumfassende Regelung, die für jegliche Anordnungen und/oder Vergütungsanpassungen gilt, ganz gleich, auf welcher Rechtsgrundlage sie jeweils beruht. Es bleibt abzuwarten, ob der Gesetzgeber die Mängel erkennt und Abhilfe schafft.