OLG Naumburg hält Verkauf von rezeptfreien Medikamenten über Amazon für wettbewerbswidrig (Urteil vom 07.11.2019)
I. Urteil des OLG Naumburg
Das OLG Naumburg hat mit Urteil vom 07.11.2019 (9 U 39/18) entschieden, dass der Vertrieb von rezeptfreien Medikamenten über die Internetplattform Amazon wettbewerbswidrig ist, wenn der Kunde nicht zuvor seine ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung von Gesundheitsdaten erteilt hat. Das OLG Naumburg hat damit die Entscheidung des Landgerichts Dessau-Roßlau vom 28.03.2018 (3 O 29/17) bestätigt.
Das Urteil ist nicht überzeugend (siehe unten IV. Kommentar).
II. Konsequenzen für die Praxis
Apothekern, die über Amazon rezeptfreie Medikamente ohne ausdrückliche Einwilligung des Kunden verkaufen, kann nach Auffassung des OLG Naumburg der Verkauf wettbewerbsrechtlich untersagt werden.
Da Amazon seinen Kunden bisher keine Möglichkeit anbietet, eine ausdrückliche Einwilligung zu erteilen, könnte dies für Apotheker ein faktisches Verkaufsverbot auf Amazon (ggf. auch weitere Online-Plattformen) zur Folge haben.
Es ist denkbar, dass ein anderes Instanzgericht den gleichen Sachverhalt rechtlich anders beurteilen würde. Es ist deshalb zu hoffen, dass der Bundesgerichtshof in dieser Sache entscheiden und für Rechtssicherheit sorgen wird. Die Revision zum Bundesgerichtshof hat das OLG Naumburg zugelassen.
Die Datenschutzbehörden sind an das Urteil des OLG Naumburg nicht gebunden. Es besteht jedoch das Risiko, dass die Behörden nunmehr verschärft gegen Versandapotheken vorgehen werden (siehe hierzu den Beitrag „Datenschutzbehörde geht gegen Versandapotheken wegen des Online-Verkaufs von Medikamenten auf der Internetplattform Amazon vor“ vom 09. September 2019).
III. Hintergrund des Rechtsstreits
In dem Verfahren vor dem OLG Naumburg stritten zwei Apotheker in der zweiten Instanz über die Frage, ob der Verkauf von apothekenpflichtigen Produkten über Amazon zulässig ist, wenn der Kunde keine ausdrückliche Einwilligung im Sinne des Art. 9 Abs. 2 lit. a DSGVO erteilt hat.
Der klagende Apotheker, der den Verkauf über Amazon für unzulässig hielt, vertrat die Ansicht, dass ein Wettbewerbsverstoß vorliege, wenn der beklagte Apotheker nicht die Vorschriften des Datenschutzrechts einhalte. Da nach Auffassung des Klägers beim Verkauf von apothekenpflichtigen Produkten „Gesundheitsdaten“ verarbeitet werden, sei eine ausdrückliche Einwilligung des Kunden erforderlich. Eine solche ausdrückliche Einwilligung wurde unstreitig weder gegenüber Amazon noch gegenüber dem beklagten Apotheker erteilt.
In dem Verfahren vor dem OLG Naumburg und dem LG Dessau-Roßlau ging es vor allem um die folgenden Rechtsfragen:
- Handelt es sich bei Vorschriften des Datenschutzrechts um sog. Marktverhaltensregeln im Sinne des § 3a UWG, deren Verletzung von einem Mitbewerber beanstandet werden kann?
- Sind Bestelldaten eines Kunden, der rezeptfreie Medikamente über Amazon bestellt, „Gesundheitsdaten“ im Sinne des Art. 4 Nr. 15 DSGVO?
- Ist für die Verarbeitung von Bestelldaten, die als Gesundheitsdaten einzuordnen sind und von einem Apotheker verarbeitet werden, eine ausdrückliche Einwilligung des Bestellers erforderlich?
Nach Auffassung des OLG Naumburg handelt es sich bei den Vorschriften der DSGVO in der vorliegenden Fallkonstellation um Marktverhaltensregeln i. S. d. § 3a UWG, weil die Nutzung der Kundendaten zu Werbezwecken erfolge und die Plattform Amazon vom beklagten Apotheker als Werbeträger zum Vertrieb seiner Produkte eingesetzt werde.
Bei den Bestelldaten der Kunden handle es sich auch um Gesundheitsdaten im Sinne des Art. 4 Nr. 15 DSGVO. Zwar handle es sich nicht um Gesundheitsdaten im engeren Sinne (wie z. B. ärztliche Befunde). Nach Auffassung des OLG Naumburg könnten aus den Bestelldaten dennoch Rückschlüsse auf die Gesundheit des Bestellers gezogen werden. Es bestehe zwar die Möglichkeit, dass im Internet rezeptfreie Medikamente auch für andere Personen und nicht für einen selbst bestellt werden. Dies senke aber nach Ansicht des OLG Naumburg nur die Wahrscheinlichkeit, mit der der gezogene Rückschluss auf den Gesundheitszustand zutreffe, so dass ein Rückschluss möglich bleibe.
IV. Kommentar
Das Urteil des OLG Naumburg ist nicht überzeugend. Man mag darüber streiten, ob es sich bei den Vorschriften des Datenschutzrechts um Marktverhaltensregeln handelt. Man kann ferner darüber streiten, ob Bestelldaten, die sich auf ein rezeptfreies Medikament beziehen, als Gesundheitsdaten einzuordnen sind oder nicht. (Die besseren Gründe dürften gegen eine solche Einordnung sprechen, da andernfalls eine uferlose Ausdehnung des Begriffs „Gesundheitsdaten“ droht, die zur Folge hätte, dass z.B. Kontaktlinsen, Vitaminbrausetabletten, Pflaster oder laktosefreie Milch ebenfalls nicht mehr auf Online-Plattformen ohne besondere Einwilligung des Bestellers verkauft werden könnten. Es bestehen erhebliche Zweifel, ob der Gesetzgeber ein derart weites Verständnis von „Gesundheitsdaten“ gewollt hat.)
Außerordentlich fragwürdig ist jedoch die Auffassung des OLG Naumburg zum Erfordernis einer ausdrücklichen Einwilligung gegenüber einem Apotheker. Nach Auffassung des OLG Naumburg sei die Datenverarbeitung durch den beklagten Apotheker rechtswidrig, weil es an einer wirksamen ausdrücklichen Einwilligung fehle. Es ist nicht nachvollziehbar, weshalb das OLG Naumburg in seinem Urteil mit keinem Wort auf die datenschutzrechtliche Privilegierung für Angehörige der Heilberufe gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. h und Abs. 3 DSGVO eingeht. Nach diesen Vorschriften ist gerade keine ausdrückliche Einwilligung erforderlich, wenn die Datenverarbeitung für die Versorgung oder Behandlung im Gesundheitsbereich erforderlich ist und durch eine Person erfolgt, die Angehöriger eines Gesundheitsberufs ist, der dem Berufsgeheimnis unterliegt. Auf Apotheker treffen diese Voraussetzungen zu. Gäbe es diese datenschutzrechtliche Privilegierung nicht, müssten Kunden eines Apothekers in der Apotheke vor Ort z.B. vor dem Kauf von Aspirin im Rahmen einer Kartenzahlung stets zunächst eine ausdrückliche Einwilligung in die Verarbeitung ihrer Gesundheitsdaten erteilen. Die Auffassung des OLG Naumburg ist insoweit nicht nur rechtlich nicht überzeugend, sondern auch praxisfern.
Die rechtsfehlerhafte Ansicht des OLG Naumburg wiegt umso schwerer, als dass es den Datenübermittlungsvorgang anscheinend richtig erfasst hat, denn es hebt in seinem Urteil hervor, dass der Kunde die Verkaufsplattform Amazon nur zur Übermittlung eines Kaufangebotes und somit zivilrechtlich als Bote einsetze. Der Apotheker erhält demnach das Kaufangebot des Kunden über Amazon. Für die datenschutzrechtliche Privilegierung eines Apothekers kann es jedoch keinen Unterschied machen, ob der Kunde selbst in der Apotheke rezeptfreie Medikamente kauft oder ein Bote das Kaufangebot des Kunden übermittelt. In beiden Fällen erhält der Apotheker ein Kaufangebot des Kunden und in beiden Fällen ist er in Hinblick auf die Daten des Kunden zur Verschwiegenheit verpflichtet.
Es ist eine andere Rechtsfrage, inwieweit Amazon die Daten des Kunden speichern darf. Diese Frage war jedoch nicht Gegenstand des Rechtsstreits und sollte Apotheker auch nicht betreffen, weil sich Apotheker im Gegensatz zu Amazon auf die datenschutzrechtliche Privilegierung gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. h und Abs. 3 DSGVO berufen können.
V. Ausblick
Das OLG Naumburg hat die Revision zum Bundesgerichtshof zugelassen, da es sich um eine Rechtssache von grundsätzlicher Bedeutung handle. Das ist zutreffend, denn es geht um die grundsätzlich Frage, inwieweit der Online-Handel mit rezeptfreien Medikamenten auf Plattformen zulässig und was unter „Gesundheitsdaten“ zu verstehen ist.
Im Sinne der Rechtssicherheit ist deshalb zu hoffen, dass sich der Bundesgerichtshof (falls der unterlegene Apotheker Revision einlegt) insbesondere mit der Frage beschäftigen wird, inwieweit die datenschutzrechtliche Privilegierung von Apothekern gemäß Art. 9 Abs. 2 lit. h und Abs. 3 DSGVO auch beim Vertrieb von rezeptfreien Medikamenten über Online-Handelsplattformen Anwendung findet.