Sonderausgabe Coronavirus
Der Coronavirus breitet sich weiter aus:
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Ausbruch des Virus zwischenzeitlich zur Pandemie erklärt. Unter Pandemie ist ein örtlich nicht beschränkter Krankheitsausbruch zu verstehen, der in der Lage ist, schwere Erkrankungen hervorzurufen und sich auf einfachem Wege von Mensch zu Mensch zu verbreiten. Dementsprechend haben Bayern und das Saarland in der Nacht auf den 13.03.2020 die Schließung sämtlicher Schulen und Kindertagesstätten ab Montag, den 16.03.2020, bis zum Beginn der Osterferien am 04.04.2020 beschlossen. Es ist zu erwarten, dass die übrigen Bundesländer diesem Beispiel folgen werden. Ferner wurden fast sämtliche Großveranstaltungen abgesagt. Infizierte Mitarbeiter bzw. solche, bei denen ein konkreter Verdacht auf Infizierung mit dem Coronavirus besteht, befinden sich aufgrund behördlicher Anordnung in Quarantäne.
In Ergänzung zu unserem Blogbeitrag „Der Coronavirus und das Arbeitsrecht“ möchten wir Ihnen einen Überblick über weitere wichtige arbeitsrechtlichen Fragen zur Arbeits- und Entgeltpflicht im Zusammenhang mit Kinderbetreuung, die Möglichkeiten einer Entschädigung nach dem Infektionsschutzgesetz (IfSG) sowie über aktuelle Maßnahmen auf Bundes- und Landesebene geben (Stand 13.03.2020). https://zirngibl.de/der-coronavirus-und-das-arbeitsrecht/
1. Kinderbetreuung
Bei der Beurteilung der Pflicht des Arbeitnehmers zur Erbringung dergeschuldeten Arbeitsleistung sowie der korrespondierenden arbeitgeberseitigen Entgeltfortzahlungspflicht ist nach folgenden Fallgruppen zu differenzieren:
1.1 Kind krank – Betreuungseinrichtung geöffnet
Arbeitnehmer haben bei erkrankten und von ihnen betreuten Kindern unter zwölf Jahren grundsätzlich das Recht, der Arbeit fernzubleiben. Gesetzlich versicherte Arbeitnehmer haben für diese Kinder nach § 45 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) Anspruch auf Kinderkrankengeld für längstens zehn Arbeitstage im Jahr, alleinerziehende für längstens 20 Arbeitstage, sofern die Kinder mit im Haushalt leben. Bei mehreren Kindern ist der Anspruch auf 25 Arbeitstage, für alleinerziehende Versicherte auf 50 Arbeitstage je Kalenderjahr beschränkt.
Soweit ein Anspruch auf Kinderkrankengeld nicht besteht, kann sich ein Anspruch auf Freistellung von der Arbeit und Fortzahlung der Vergütung für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit aus § 616 BGB ergeben, der in der Regel höchstens fünf bis zehn Tage beträgt. Demnach behält der Arbeitnehmer – abweichend vom Grundsatz „ohne Arbeit kein Lohn“ – seinen Vergütungsanspruch, wenn er für eine verhältnismäßig nicht erhebliche Zeit durch einen in seiner Person liegenden Grund ohne sein Verschulden an der Dienstleistung verhindert wird. Die einen Pflegebedarf auslösende Erkrankung von mit ihm gleichen Haushalt lebenden Kindern stellt einen solchen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund dar.
Sind beide Eltern berufstätig, hat nur einer den Freistellungs- und Entgeltfort-zahlungsanspruch, da eine Pflege durch beide in der Regel nicht notwendig ist. Wer die Pflege übernimmt, ist den Eltern überlassen. Allerdings müssen sie, wenn sie bei demselben Arbeitgeber beschäftigt sind, auf dessen Interessen angemessen Rücksicht nehmen. Ist nur ein Elternteil berufstätig, hat der andere die Pflege zu übernehmen. Die Notwendigkeit der Pflege ist durch ärztliches Zeugnis nachzuweisen.
Sollte das Kind am Coronavirus erkrankt sein oder der konkrete Verdacht einer solchen Infektion bestehen, ist der Arbeitgeber hierüber unverzüglich zu informieren. In diesem Fall wird der Arbeitgeber aufgrund seiner Fürsorge-und Schutzpflicht gegenüber den weiteren Arbeitnehmern regelmäßig eine Arbeit im Home-Office (sofern möglich) oder Freistellung des Arbeitneh-mers/Elternteils in Erwägung ziehen müssen (vgl. Ziff. 3 und Ziff. 4 unseres Blogbeitrags vom 09.03.2020).
1.2 Kind gesund – Betreuungseinrichtung geschlossen
Die vorübergehende Schließung einer Kinderbetreuungseinrichtung stellt nur im Ausnahmefall einen in der Person des Arbeitnehmers liegenden Grund dar, der ein Recht zum Fernbleiben von der Arbeit sowie einen Entgeltfortzahlungsanspruch gewährt. Insofern ist wie folgt zu unterscheiden:
(1) Existiert eine Vereinbarung, wonach der Arbeitnehmer zur Arbeit im Home-Office berechtigt ist bzw. der Arbeitgeber eine Tätigkeit des Arbeitnehmers von zu Hause aus einseitig anordnen kann, ist der Arbeitnehmer weiterhin zur Erbringung seiner Arbeitsleistung verpflichtet. Ein Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitnehmers scheidet dann aus, die Vergütung ist regulär fortzuzahlen.
(2) Kann kein Home-Office angeord-net/gefordert werden, ist folgendermaßen zu differenzieren:
(a) Zunächst ist die Frage zu klären, ob das Kind (insbesondere aufgrund seines Alters) überhaupt betreuungsbedürftig ist. Dies wird bei Kindern, die älter sind als zwölf Jahre nicht der Fall sein. In der Literatur wird vertreten, dass die Altersgrenze noch darunter liegt.
(b) Anschließend ist zu klären, ob die Betreuung des Kindes durch Dritte sichergestellt werden kann (z.B. Ehegatte, ältere Geschwister Kinder, Großeltern, ggf. sogar Freunde und Nachbarn). Zu denken ist auch an eine Teilzeit-Betreuung oder eine Nutzung von betrieblichen Einrichtungen und Betreuungsangeboten.
(c) Mit dem Arbeitnehmer sind in jedem Fall auch die Möglichkeiten der Arbeit von zu Hause zu erörtern, da gerade bei älteren Kindern keine rund um die Uhr Betreuung notwendig sein wird.
Einen Entgeltfortzahlungsanspruch hat der Arbeitnehmer in diesem Fall (keine Arbeitsleistung von zu Hause aus möglich) allenfalls dann, wenn eine Betreuungsbedürftigkeit zwingend durch ihn persönlich erfolgen muss. Ein solcher Entgeltfortzahlungsanspruch ist auf wenige Tage im Jahr begrenzt.
1.3 Kind gesund, aber wird aus Angst der Eltern vor Ansteckung zu Hause behalten – Betreuungseinrichtung geöffnet
In diesem Fall wird man weder zu einem Anspruch auf Freistellung noch zu einer Entgeltfortzahlungsverpflichtung des Arbeitgebers kommen. Eine Ausnahme kommt allenfalls dann in Betracht, wenn hinreichend konkret Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass die Betreuungseinrichtung trotz Infektion eines Kindes mit dem Coronavirus bzw. trotz konkreter und offensichtlicher Verdachtsmomente schuldhaft untätig bleibt.
1.4 Kind gesund, aber unter Quarantäne – Betreuungseinrichtung geöffnet
Dieser Fall dürfte in der Praxis kaum vorkommen: Es ist davon auszugehen, dass alle Personen, die im betroffenen Haushalt leben, unter Quarantäne gestellt werden. Ansonsten wäre die Maßnahme wirkungslos. Die Frage, ob der Arbeitnehmer Anspruch auf Verweigerung der Arbeitsleistung hat, bemisst sich im Wesentlichen nach den unter Ziff. 1.2 dargestellten Kriterien.
2. Behördliche Maßnahmen nach Infektionsschutzgesetz (IfSG)
Ordnen die zuständigen Gesundheitsämter Maßnahmen gemäß IfSG an (z.B. Quarantäne § 30, berufliches Tätigkeitsverbot § 31), erhalten Arbeitnehmer gemäß § 56 IfSG für die Dauer des Arbeitsverhältnisses – längstens aber für sechs Wochen – vom Arbeitgeber eine Entschädigung. Die Entschädigung bemisst sich für die ersten sechs Wochen am Verdienstausfall. Von Beginn der siebenten Woche an wird sie in Höhe des Krankengeldes gemäß § 47 Abs. 1 Sozialgesetzbuch Fünftes Buch (SGB V) gewährt, soweit der Verdienstausfall die für die gesetzliche Krankenversicherungspflicht maßgebende Jah-resarbeitsentgeltgrenze nicht übersteigt. Als Verdienstausfall gilt das Arbeitsentgelt, das dem Arbeitnehmer bei der für ihn maßgebenden regelmäßigen Arbeitszeit nach Abzug der Steuern und der Beiträge zur Sozialversicherung und zur Arbeitsförderung oder entsprechenden Aufwendungen zur sozialen Sicherung in angemessenem Umfang zusteht.
Die Entschädigung ist vom Arbeitgeber anstelle der zuständigen Behörde für die Dauer des Arbeitsverhältnisses – längstens aber für sechs Wochen – zu leisten. Die ausgezahlten Beträge erhält der Arbeitgeber auf Antrag von der zuständigen Behörde erstattet.
Der Entschädigungsanspruch des Arbeitnehmers – und damit auch der Erstattungsanspruch des Arbeitgebers – ist allerdings ausgeschlossen, wenn der Arbeitnehmer keinen Entgeltausfall erleidet. Dies ist der Fall, wenn der Arbeitgeber sich aufgrund individualvertraglicher, kollektiver oder gesetzlicher Rechtsgrundlage zur Entgeltfortzahlung verpflichtet.
3. Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums für Gesundheit und Pflege vom 07.03.2020
Nach der Verfügung des Bayerischen Staatsministeriums vom vergangenen Samstag dürfen Schüler und kleinere Kinder nach ihrer Rückkehr aus Südtirol oder anderen Risikogebieten für 14 Tage nicht in die Schule bzw. ihre Betreuungseinrichtung gehen. Auch diese Verfügung zeigt, dass eine Auskunftspflicht der Arbeitnehmer besteht, ob sie sich in den letzten 14 Tagen in einem Risikogebiet aufgehalten haben (vgl. Ziff. 2 unseres Blogbeitrags vom 09.03.2020). Der Arbeitgeber ist verpflichtet, seinen anderen Arbeitnehmer vor einer Ansteckung zu schützen. Er wird daher seine Arbeitnehmer hinsichtlich entsprechender Aufenthalte befragen dürfen und sogar müssen.
Der am Donnerstag (12.03.2020) vorgestellte
Maßnahmenkatalog gegen das Coronavirus von Bund und Ländern sieht die Möglichkeit einer flächendeckenden Schließung von Schulen und Betreuungseinrichtungen explizit als Handlungsoption vor. Hiervon hat Bayern Gebrauch gemacht. Sämtliche Schulen werden ab 16.03.2020 bis zum Beginn der Osterferien am 04.04.2020 geschlossen bleiben. Auch Kindertagesstätten werden ab 16.03.2020 bis einschließlich 03.04.2020 geschlossen bleiben.
4. Erleichterungen beim Kurzarbeitergeld
Das Bundeskabinett hat am vergangenen Mittwoch eine Verordnungsermächtigung für die Bundesregierung auf den Weg gebracht, mit der die Hürden für die Kurzarbeit gesenkt werden können. Demnach soll es Lohnkos-tenzuschüsse bereits dann geben, wenn zehn Prozent der Belegschaft von Arbeitsausfall betroffen sind.
Zusätzlich zum Kurzarbeitergeld soll die Bundesagentur für Arbeit auch die Sozialversicherungsbeiträge übernehmen, die sonst der Arbeitgeber im Falle von Bezug von Kurzarbeitergeld tragen muss. Ferner soll das Kurzarbeitergeld befristet auch für Leih- und Zeitarbeiter gezahlt werden.
Die Neuregelungen werden bereits in der ersten Aprilhälfte 2020 in Kraft treten.
5. Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung per Telefon
Ferner haben sich die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und der GKV-Spitzenverband am vergangenen Montag auf folgende Sonderregelung zur Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbe-scheinigungen verständigt: Patienten mit leichten Erkrankungen der oberen Atemwege können nach telefonischer Rücksprache mit ihrem Arzt eine Bescheinigung auf Arbeitsunfähigkeit bis maximal sieben Tage ausgestellt bekommen. Ein persönlicher Besuch der Arztpraxis ist hierfür nicht erforderlich. Die Regelung gilt ab sofort und zunächst für vier Wochen. Hierdurch sollen sowohl Ärzte als auch Patienten entlastet werden sowie die Verbreitung des Virus eingedämmt werden. Der hohe Beweiswert von Arbeitsunfähig-keitsbescheinigungen soll hierdurch nicht berührt werden.
Die Ausführungen in unseren Blogbeiträgen sind selbstverständlich weder als abschließend noch als allgemeingültig zu verstehen. Insbesondere kann aufgrund der geltenden arbeitsvertraglichen, betrieblichen und tariflichen Regelungen sowie aufgrund der persönlichen und betrieblichen Umstände eine abweichende Bewertung geboten sein.