Update Kartellrecht – Prüffristen Fusionskontrolle und Kooperationen zwischen Wettbewerbern in Zeiten der Corona-Pandemie
1.Fusionskontrolle – bei anmeldepflichtigen Zusammenschlussvorhaben sind ggf. verlängerte Prüffristen zu beachten
Als Reaktion auf die COVID-19 Pandemie beabsichtigt die Bundesregierung, die Prüffristen im Rahmen der Fusionskontrolle zu verlängern.
Für die sog. Phase I Prüfung soll die Frist von einem Monat auf zwei Monate verlängert werden. Für die sog. Phase II Prüfung, also für den Fall, dass das angemeldete Zusammenschlussvorhaben vertieft geprüft werden muss, soll sich die Frist von bisher vier auf dann sechs Monate verlängern. Die Fristverlängerung soll für Vorhaben gelten, die zwischen dem 01.03.2020 und dem 31.05.2020 angemeldet werden. Das Bundeskartellamt geht davon aus, dass die Verlängerung der Prüffristen im Juni 2020 in Kraft treten wird.
Werden die Prüffristen verlängert, müssen Unternehmen, die sich zusammenschließen wollen, bis zum Vollzug des Vorhabens möglicherweise länger warten. Voraussetzung für den Vollzug eines anmeldepflichtigen Vorhabens ist, dass das Vorhaben vom Bundeskartellamt freigegeben wird. Vor der Freigabe besteht ein Vollzugsverbot. Ein Verstoß gegen das Vollzugsverbot kann mit einem Bußgeld geahndet werden und/oder zu einer Entflechtung führen.
Bei Zusammenschlussvorhaben sollte die mögliche Verlängerung der Prüffristen für das Bundeskartellamt daher bei der Planung des Vorhabens im Auge behalten werden.
2. Kooperationen und der Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern können zulässig sein
Die Wettbewerbsbehörden betonen die hinreichende Flexibilität des Kartellrechts, die Kooperationen und den Austausch von Informationen zwischen Wettbewerbern ermöglicht.
Unter Berücksichtigung der COVID-19 Pandemie können Kooperationen oder der Austausch von Informationen zulässig sein, die unter „normalen Umständen“ als problematisch eingestuft würden. Dies gilt insbesondere im Bereich solcher Waren und Dienstleitungen, die derzeit eine besondere Bedeutung haben und besonders nachgefragt sind. Dazu zählen z.B. medizinische Schutzausrüstung und Medikamente.
Mit einem sog. „Comfort Letter“ hat die Europäische Kommission z.B. eine Kooperation von Pharmaunternehmen als zulässig beurteilt, die bestimmte Formen der Koordinierung zwischen Wettbewerbern beinhaltet. Im Rahmen der Zusammenarbeit der beteiligten Pharmaunternehmen ist vorgesehen, die Produktionskapazität und die vorhandenen Lagerbestände zu ermitteln und die Produktion und die Lagerbestände auf der Grundlage der prognostizierten oder tatsächlichen Nachfrage anzupassen oder neu zuzuweisen. Gegenstand der Kooperation ist außerdem eine Zusammenarbeit beim Vertrieb.
3. Missbrauch wird weiter streng verfolgt; Beobachtung durch die Wettbewerbsbehörden
Sämtliche Wettbewerbsbehörden weisen darauf hin, dass sie den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung unter dem Deckmantel der Pandemie weiter streng verfolgen. Das Kartellrecht und damit auch das Missbrauchsverbot bleiben in Kraft. Beispielsweise Preissteigerungen bei relevanten Gütern sollen genau beobachtet und ggf. untersucht werden.
Das Bundeskartellamt hat z.B. nach Beschwerden verschiedener Händler Amazon aufgefordert, sich zum Umgang mit Lieferengpässen zu erklären und darzustellen, welche Lieferungen im Zweifel bevorzugt oder nachrangig bearbeitet werden.
Gleichwohl muss nicht jede Preiserhöhung eines marktstarken Unternehmens immer auch einen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung darstellen. Die Pandemie und ihre Auswirkungen können die Erhöhung von Preisen, z.B. wegen gestiegener Herstellungskosten, sachlich rechtfertigen. Dies gilt auch für Ungleichbehandlungen von Abnehmern, z.B. durch Lieferverweigerungen, die aus Engpässen resultieren. Wäre eine Ungleichbehandlung der Abnehmer durch ein marktbeherrschendes Unternehmen in „normalen Zeiten“ als Missbrauch zu qualifizieren, kann sie unter den aktuellen Umständen sachlich gerechtfertigt sein.
4. Unternehmen müssen selbst entscheiden, ob ein Vorhaben zulässig ist – dabei können die Wettbewerbsbehörden helfen
Unternehmen müssen ihr Verhalten selbst beurteilen und einschätzen, ob eine bestimmte unternehmerische Entscheidung den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung oder eine wettbewerbsbeschränkende Kooperation begründet. Maßnahmen sollten daher genau geprüft werden. Die Prüfung und das Ergebnis sollten hinreichend dokumentiert werden.
Die Wettbewerbsbehörden stehen für informelle Beratungen zu beabsichtigten Kooperationen zur Verfügung. Mit dem angesprochenen „Comfort Letter“ bzw. mit sog. „Vorsitzendenschreiben“ des Bundeskartellamts haben die Wettbewerbsbehörden Werkzeuge an der Hand, die den Unternehmen zu einer gewissen Rechtssicherheit verhelfen können.