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Ein Angebotsausschluss wegen eines offensichtlichen Schreibfehlers ist unzulässig!

Die Vergabekammer Thüringen (im Folgenden VK Thüringen) entschied am 10.05.2023 (4002-812-2023-E-003-SM), dass offenkundige und marginale Rechen- oder Schreibfehler keine inhaltliche Änderung der Vergabeunterlagen darstellen und daher nicht zu einem Ausschluss aus dem Vergabeverfahren führen.

In dem der Entscheidung zugrundeliegenden Fall schrieb der Auftraggeber ein Bauvorhaben europaweit aus. In diesem Vergabeverfahren war die Abgabe des interaktiv auszufüllenden Formblatts 225a „Stoffpreisgleitklausel“ vorgesehen. In Abweichung zu den Erklärungen in den übrigen Vergabeunterlagen und den Vertragsunterlagen hat der Bieter die Abrechnungseinheit €/m statt €/qm für die Angabe eines Preisanteils in eben diesem Formblatt eingetragen.

Die VK hat nun entschieden, dass es sich hierbei nicht um eine Änderung der Vergabeunterlagen handelt. Änderungen sind nur alle unmittelbaren Eingriffe mit verfälschende Absicht, wie Streichungen, Hinzufügungen, jede Abänderung einer Position, Herausnahme von einzelnen Blättern etc. Eine Änderung der Vergabeunterlagen liegt dann vor, wenn der Bieter nicht das anbietet, was der Ausschreibende bestellt hat, sondern von den Vorgaben der Vergabeunterlagen abweicht. Ob eine solche Abweichung vorliegt, ist im Einzelfall zu entscheiden und bemisst sich daran, wie ein mit den Umständen des Einzelfalls vertrauter Dritter in der Lage des Auftraggebers das Angebot nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte verstehen musste und oder durfte. Der Wortlaut der Erklärung sei dabei zwar ein zentraler Gesichtspunkt, allerdings seien auch begleitende Umstände bei der Auslegung zu berücksichtigen.

Im vorliegenden Fall würde die Auslegung der Angabe der Mengeneinheit unter der Berücksichtigung der Begleitumstände ergeben, dass keine unzulässige Änderung der Vergabeunterlagen vorliegt. Der Bieter hat beim Ausfüllen des interaktiven Formblatts lediglich einen Buchstaben vergessen oder versehentlich gelöscht. Dies ergibt sich aus dem Widerspruch der Eintragung mit den weiteren Angaben in den einzelnen Spalten des Formblatts und zum Leistungsverzeichnis, aus denen sich jeweils klar ergibt, dass eine Abrechnung in der Einheit €/qm erfolgt. Der Auftraggeber musste vorliegend erkennen, dass es sich um einen Schreibfehler handelt. In diesem Fall hätte der Auftraggeber aufgrund des offenkundigen und marginalen Eintragungsfehlers die notwendige Berichtigung sogar selbst vornehmen können. Denn Sinn des Vergabeverfahrens ist es, das wirtschaftlich günstigste Angebot zu wählen und nicht ein solches an formalistischen Gesichtspunkten scheitern zu lassen. Zumindest aber hätte der Auftraggeber bei Erkennen des Schreibfehlers diesen nach § 15 EU Abs. 1 Nr. 1 VOB/A nach pflichtgemäßem Ermessen aufklären müssen. Im Falle einer widersprüchlichen Erklärung ist der Auftraggeber nicht nur zur Aufklärung berechtigt, sondern entsprechend der Rechtsprechung des BGH sogar verpflichtet.

Die VK Thüringen bestätigt somit, dass ein Vergabeverfahren kein reines „Formalverfahren“ ist. Vielmehr kann dem Zweck, der Auswahl des wirtschaftlichsten Angebots, nach erforderlich sein, Bietererklärungen mit Blick auf die Gebote eines transparenten Wettbewerbs und der Gleichbehandlung auszulegen oder aufklären zu lassen.

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