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Am kommenden Mittwoch, den 16.07.2025, wird im Bundeskabinett der Referentenentwurf zum Gesetz zur Beschleunigung der Vergabe öffentlicher Aufträge (Vergabebeschleunigungsgesetz) beraten. Ein möglicher Beschluss dieser Reform des Vergaberechts könnte fatale Folgen für die Ausprägung des Primärrechtsschutzes bei Vergabeverfahren haben.
Hintergrund der geplanten Vergaberechtsreform
Bereits in der letzten Legislaturperiode gab es Bestrebungen, das Vergaberecht zu reformieren. Bürokratie sollte vereinfacht und abgebaut werden, Verfahren beschleunigt und digitalisiert werden sowie Start-Ups und Innovationen gestärkt werden. Diese Bestrebungen in Form des Vergabetransformationspakets sind letztlich aber der Diskontinuität zum Opfer gefallen.
Darauf aufbauend plant die jetzige Regierung diverse Änderungen vergaberechtlicher Vorschriften, um die öffentliche Beschaffung einfacher, schneller und flexibler zu machen.
Wegfall der aufschiebenden Wirkung: Was bedeutet das?
Eine der gewichtigsten Änderungen stellt der beabsichtigte Entfall der aufschiebenden Wirkung eines Rechtsmittels gegen die den Nachprüfungsantrag abweisende Entscheidung der Vergabekammer dar. Dazu lautet es bereits im Koalitionsvertrag: „Wir werden die Vergabe öffentlicher Aufträge beschleunigen, indem die aufschiebende Wirkung der Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Vergabekammern zu den Oberlandesgerichten entfällt.“ Konkret sollen § 173 Abs. 1 und 2 GWB durch folgende Vorschrift ersetzt werden: „Hat die Vergabekammer den Antrag auf Nachprüfung abgelehnt, hat die sofortige Beschwerde keine aufschiebende Wirkung gegenüber der Entscheidung der Vergabekammer.“
Unterliegt der Antragsteller somit erstinstanzlich, entfällt das Zuschlagsverbot unmittelbar mit der Entscheidung der Vergabekammer und nicht erst nach Ablauf der Beschwerdefrist. Dadurch soll die Vergabe öffentlicher Aufträge beschleunigt werden.
Aber zweitinstanzliche Verfahren wird es dann so gut wie keine mehr geben. Denn primäres Rechtsschutzbedürfnis des Antragstellers ist der Erhalt des Auftrags, nicht die Feststellung nach Zuschlagserteilung an einen Konkurrenten, dass er eigentlich Recht hatte. Diese Einschränkung der gerichtlichen Überprüfbarkeit könnte sodann auch die Einheitlichkeit und die Fortentwicklung der vergaberechtlichen Rechtsprechung gefährden, wenn die Oberlandesgerichte keine praktische Möglichkeit mehr erhalten, die Entscheidungen der Vergabekammer abzuändern.
Vereinbarkeit der Neuregelung mit EU-Recht
Dabei drängt sich die Rechtsfrage auf, ob eine solche Neuregelung mit dem EU-Richtlinienrecht sowie dem Verfassungsrecht noch in Einklang zu bringen ist. Nach der Begründung des Referentenentwurfs wäre immer noch ein ausreichender primärrechtlicher Schutz garantiert, da das Europarecht nur eine gerichtliche Instanz erfordere.
Art. 2 Abs. 9 der Richtlinie 2007/66/EU legt fest, dass eine behauptete rechtswidrige Maßnahme der Nachprüfungsstelle oder ein behaupteter Verstoß bei der Ausübung der ihr übertragenen Befugnisse zum Gegenstand einer Klage oder einer Nachprüfung bei einer anderen von dem öffentlichen Auftraggeber und der Nachprüfungsstelle unabhängigen Stelle, die ein Gericht im Sinne des Artikels 234 des Vertrags ist, gemacht werden können muss.
Nach den Ausführungen im Referentenentwurf des BMWE seien die Vergabekammern überprüfungsfähige Gerichte im Sinne des Art. 267 AEUV (ehemals Art. 234 EGV), weil der EuGH deren Vorlageberechtigung bejaht habe. Deshalb bedürfe es keiner weiteren Überprüfung durch ein (weiteres) Gericht. Bekanntermaßen sind Vergabekammern nach deutschem Recht jedoch Nachprüfungsstellen und keine Gerichte, sodass hier bereits eine Unvereinbarkeit mit dem Willen des Richtliniengebers vorliegen könnte.
Vereinbarkeit der Neuregelung mit Verfassungsrecht
Ausweislich der Begründung zum Referentenentwurf liege auch kein verfassungswidriger Verstoß gegen das Rechtsschutzprinzip aus Art. 19 Abs. 4 GG vor. Die Unanwendbarkeit dessen habe das BVerfG im Beschluss vom 13.06.2006 (1 BvR 1160/03) festgestellt, da sich der Staat in der Rolle des Nachfragers nicht grundlegend von anderen Marktteilnehmern unterscheide und deshalb keine öffentliche Gewalt ausübe. Bei dieser Argumentation wird jedoch übersehen, dass es sich um eine Entscheidung im Unterschwellenbereich handelt, wo das Vergaberecht nach Ansicht des BVerfG Innenrecht der Verwaltung bleibe. Die Entscheidung ist daher nicht ohne Weiteres auf den Oberschwellenbereich, der gerade der Durchsetzung subjektiver Rechte dient, übertragbar.
Hoffnung auf Fortschritt statt auf Rückschritt im Vergaberecht
Schon Ende der neunziger Jahre ging der deutsche Gesetzgeber davon aus, dass die Vergaberichtlinien auch der Durchsetzung fairer Marktzutrittschancen der Unternehmen dienen und mithin subjektive Rechte begründen. Die Zielsetzung in der damaligen Gesetzesbegründung umfasste die Einhaltung der Vergabevorschriften durch Einführung eines im Hinblick auf Art. 19 Abs. 4 GG „notwendigerweise […] gerichtlichen Rechtschutz[es]“. Folglich wurde der Anspruch der Unternehmen auf die Einhaltung der Vergabevorschriften (heute in § 97 Abs. 6 GWB geregelt) sowie der bis heute geltende Instanzenzug von den Vergabekammern zum OLG begründet. Die faktische Streichung dieses Instanzenzuges wäre somit vielmehr Rück- als Fortschritt.
Die EU-Kommission plant derzeit ebenfalls eine Reform des Vergaberechts, mit der wohl im 2. Halbjahr 2026 zu rechnen ist. Es bleibt somit abzuwarten, welche nationalen Änderungen in diesem Jahr tatsächlich umgesetzt werden und wie sich eine europarechtliche Änderung darauf auswirkt. Letztlich bleibt die Hoffnung, dass die geplanten Änderungen des § 173 Abs. 1 GWB zumindest nach Anhörung der Verbände doch nicht umgesetzt werden.